Unser Mitglied Walter Eichler informiert mit seinem Text über das Leben und Wirken des Josef Seliger:
Josef Seliger ist in Schönborn bei Reichenberg geboren. Er war lange Krankenkassen-Funktionär und Fachmann für die Zusammenarbeit von Bürgern der gemischt nationalen Bewohner des Sudetenlandes.
Josef Seliger erkannte schon vor dem Ende des ersten Weltkrieges, dass die nationale Zusammenarbeit nur auf Basis und Grundlage der Gleichberechtigung der Tschechen und Deutschen sowie anderer Nationalitäten des Böhmischen Landes funktionieren kann. Er war Sozialdemokrat und hatte einen tschechischen Kollegen, der auf Seiten der tschechischen Sozialdemokratie aktiv war.
Josef Seliger bemühte sich mit anderen Sudetendeutschen darum, zu einer vernünftigen, gegenseitigen Regelung, der immer härter werdenden nationalen Forderungen zu kommen.
Um die nationalen Anliegen seiner Anhänger und Wähler über die Parteigrenzen hinweg zu vertreten übernahm Seliger zum Ende des Jahres 1918 das Amt des Landeshauptmann-Stellvertreters in der leider nur sehr kurzlebigen deutsch-böhmischen Landesregierung.
Nachdem im Herbst des Jahres 1918 der Erste Weltkrieg zu Ende ging, brachte das den Zusammenbruch der politischen und wirtschaftlichen Weltordnung im deutsch-österreichischen Bereich. Es entstanden für alle Nationalitäten, wie Deutsche, Polen, Slowaken, Ruthenen und Magyaren im Vielvölkerstaat Österreich große Probleme bezüglich des Zusammenlebens. In der neu entstandenen Tschechoslowakei in Böhmen, Mähren und Schlesien wurden die bisher gesellschaftlich diskriminierten tschechischen Bürger zu neuen Herren im Lande, welche den bislang maßgeblichen Deutschen gar manchmal mit der gleichen Arroganz begegneten, wie ihnen vorher die alten Herren begegnet waren.
Eine nationale Arroganz die durch fast Weltweit sich verbreitende radikalen Vorrangforderungen der einzelnen Nationalitäten, führte zu vielen gegenseitigen Vorwürfen, Streitigkeiten und zu Nachteilen der jeweils schwächeren oder des zahlenmäßig kleineren Bevölkerungsteils.
Der nach nationalen Umbrüchen oft unvermeidliche Chauvinismus führte zum Beispiel dazu, dass den Deutschen, welche zahlenmäßig stärker waren als die Slowaken, die Mitarbeit an der neuen Verfassung verweigert wurde.
Der damals starke Tschechoslowakanismus erwies sich zwar später als Fiktion und führte letztlich zur Trennung von Tschechen und Slowaken. Nach dem ersten Weltkrieg wurde er aber zum Nachteil der Deutschen angewendet. In diesen Jahren bemühten sich die deutschen Sozialdemokraten um eine Annäherung zur tschechischen Bruderpartei um ein Gegengewicht zu den nicht geliebten und auch nicht erwünschten Kommunisten mit ihren Forderungen zur Gewalt zu erreichen.
Als die Nationalversammlung der jungen Republik Österreich am 4. März 1919 das erste Mal einberufen wurde, aber natürlich ohne Abgeordnete der Sudetenländer, die sich ja jetzt im österreichischen Ausland befanden, wurde die Sudetendeutsche Bevölkerung auf Anregung von Josef Seliger zu einer friedlichen Demonstration aufgerufen.
Leider reagierte die tschechische Regierung in Prag mit dem Befehl, Militär gegen die friedliche Demonstration einzusetzen. 54 Menschen dieser friedlichen Demonstration wurden von dem tschechischen Militär erschossen. Es gab hinterher die unterschiedlichsten Erklärungen für die tödlichen Schüsse. Eine Erklärung war: Es wurde nicht auf die Menschen geschossen. Die Menschen wurden nur von Querschlägern getroffen die durch den Abprall der Geschosse von den Steinen tödlich getroffen wurden. Und das 54 mal tödlich!! Jeweils am 04. März, ist der Gedenktag der Sudetendeutschen für dieses Massaker.
Die Gründung des tschechoslowakischen Staates zwang die sudetendeutschen Sozialdemokraten ihre bisherige Zugehörige zur österreichischen Sozialdemokratie zu beenden und sich als selbständige Partei zu konstituieren. Seliger war der einzige Kandidat für das Amt des Vorsitzenden. Als Realpolitiker rief er dazu auf, die durch die Schaffung des neuen Staates entstandenen Tatsachen anzuerkennen. Ein ausdrückliches Bekenntnis zur tschechoslowakischen Republik aber vermied Seliger, ungeachtet der Tatsache, dass der Name seiner Partei ein solches Bekenntnis zum Ausdruck brachte.
Auf dem Gründungsparteitag in Teplitz Ende August 1919 forderte Seliger die tschechische Mehrheitsnation auf, alle Nationen im neuen Staat – Deutsche, Polen, Slowaken, Ruthenen und Magyaren – die gleichen Rechte und das nationale Selbstbestimmungsrecht einzuräumen. Seine überzeugte Meinung war, auf einer solchen Grundlage würde sich jede Nation bald zuhause fühlen und ein „papierenes Bekenntnis zum tschechisch-slowakischen Staate“ völlig überflüssig machen. Die ersten Parlamentswahlen im Jahre 1920 ergaben neben den tschechischen Sozialdemokraten die sudetendeutsche Sozialdemokratie als Sieger. Mit 44 % aller abgegebenen deutschen Stimmen und 31 Abgeordnete in der Nationalversammlung sowie 16 Senatoren wurden sie die stärkste deutsche Partei. Es war die überwältigende Bestätigung der Politik Seligers und der Höhepunkt seines politischen Wirkens.
Die Linke – Kommunisten – waren mehr oder weniger der Ansicht, dass die Sozialdemokratie eine revolutionäre Partei sein müsse und durch die Anwendung von Gewalt viel schneller als durch Reformen ihre Ziele würde erreichen können, während die Mehrheit der Partei parlamentarisch-demokratischen Grundsätzen den Vorzug gab. Der zweite Parteitag im Oktober 1920 in Karlsbad stand im Zeichen dieser Auseinandersetzung. Seliger wies die Forderungen und Ansichten der späteren Kommunisten zurück. Es gelang ihm die Einheit der SPD zunächst zu erhalten. Josef Seliger verstarb jedoch wenige Tage nach dem Karlsbader Parteitag im Alter von nur 50 Jahren. Ein großer unersetzlicher Verlust für alle Sudetendeutschen! Die Linke der SPD spaltete sich ein halbes Jahr später von der DSAP ab und gründete mit abtrünnigen tschechischen und slowakischen Linken Kommunisten – die tschechoslowakische Kommunistische Partei - KSC. Das war bis 1938 die einzige wirklich übernationale Partei in der CSR. Nachfolger von Josef Seliger wurde Dr. Ludwig Czech. Dies war ein Brünner Advokat jüdischer Herkunft und langjähriger Vorsitzender der mährischen Landesorganisation vor 1919.
Der Vortrag bezieht sich in Auszügen auf das Buch „Die Sudentendeutschen Sozialdemokraten von der DSAP zur Seliger-Gemeinde“. Zu der jetzigen Situation und den Nachfolgern von Josef Seliger wäre noch sehr viel auszuführen, aber wir beschäftigen uns heute nur mit Josef Seliger.
Die Broschüren zu Josef Seliger können über die Geschäftsstelle der Seliger Gemeinde bezogen werden. Walter Eichler
Meine Informationen sind der Jubiläumsschrift 50 Jahre Seliger Gemeinde Hof. Herausgeber: Pit Fiedler, Peter Heidler, Herbert Schmidt entnommen.